Mit dem Rad von Düsseldorf nach Calvi

Höhen und Tiefen | In 22 Tagen mit dem Rad über die Alpen | Grenzwert Erfahrungen und wertvolle Tips

Ausschnitt aus meinem Buch: „Der Ruf des Südens“

14. Kapitel – Die BERGETAPPE, Höchster Schweizer Alpenpaß (Umbrail) + Tiefblick vom Stilfser Joch

(viel höher geht´s nimmer !)

Etappe 14, Freitag, 04.10.2013

Taufers/Tubre – Müstair – Sta. Maria i. Münstertal – Umbrailpaß – Stilfser Joch/Pso. dello Stelvio – Tibethaus – Stilfser Joch – Bormio 

1240 m – 2785 m – 1225 m

Streckenlänge: 47,83 km (bisher kummuliert 1211,77 km)
Durchschnittsgeschwindigkeit (ohne Pausen): 12,52 km/h
Maximalgeschwindigkeit: 57,41km/h
reine Fahrtzeit: 3 Std. 49 min
Aktivitätszeitraum (immer inkl. Pausen): 10.00 – 20.00 Uhr / 10 Std.
Höhenmeter: 1545 m

Wetter: nebelig, verhangen, ab ca. 2000 m Sonnenschein, während der Abfahrt nach Bormio ab ca. 2200 m waschküchenhafte Wolken mit extremer Feuchtigkeit und miserabler Sicht

Ein guter Tag startet immer mit einem ausladenden Frühstück. Mein Hotel bietet mir alles, wovon ein hungriger Pässefreak träumt.

Schnurstracks steuere ich St. Maria im Münstertal an. Alles ist wolkenumwabert und nebelig, die Stimmung in Graubünden ist einzigartig. Farblich harmoniert die Witterung mit den grauen Häusern. Ein wenig erinnert mich die Szenerie an den Film „Via Mala“ mit Mario Adorf. Für einen Moment zögere ich mit dem Kauf einiger Ansichtskarten und dem dazugehörigen Porto. Ich verwerfe den Gedanken und möchte in diesem Land einfach keine Ausgaben tätigen. Bereits wenige Meter nach dem Verlassen der zentralen Ortskreuzung im letzten Dorf vor dem höchsten aller schweizer Alpenpässe beginnt die Straße kräftig anzusteigen.

Mir steht (mit etlichen Fotostopps) eine fünfstündige Auffahrt über diverse Serpentinen bevor. Bis etwa 2000 m bleibe ich komplett von Wolken umhüllt. Mir gefällt diese mystische Stimmung ausgezeichnet und ich genieße jede Kehre. Der Wandel alpiner Klimazonen und das Durchfahren verschiedenster Vegetationsstufen muss man einfach erlebt haben. Dieser Paß ist relativ schwach befahren. St. Maria im Münstertal ist noch von Almen umgeben, sogleich beginnt der vorwiegend aus Tannen / Kiefern bestehende Bergwald. Je feuchter das Klima, umso moosiger präsentieren sich die dickrindigen Baumriesen. Erst am Rande der Baumgrenze treten Lärchen in ihrem goldenen Herbstkleid in den Vordergrund. Ab 1965 m Meereshöhe wartet eine Linie auf mich, die mein Abenteurer-Herz höher schlagen lässt (= Wechsel von Asphalt in Schotter). Es handelt sich beim Umbrail-Paß um einen der letzten Pässe mit Schotterpiste. Auf einem Abschnitt von nur 1,5 km ist er NOCH ungeteert, aber sehr gut fahrbar. Ich befinde mich ja glücklicherweise im Anstieg und nicht auf einer halsbrecherischen Abfahrt. Während der ersten Stunden begegnet mir kein einziger Radfahrer, auf der Hartschotterpiste kommen mir 3 Rennradfahrer entgegen und ein Tourenfahrer. Ihn bitte ich um ein paar Fotos, auf denen ich für die Nachwelt auch einmal zu sehen bin.

Endlich, bei etwa 2000 m reißt die bis dato undurchdringliche Wolkendecke  auf und die Sonne verwandelt alles in atemberaubende alpine Schönheit. Die Tiefblicke auf eine geschlossene Wolkendecke und Ausblicke auf die letzten Kehren zur Paßhöhe sind überwältigend. Ich halte ständig, um alles fotografisch zu konservieren.

Mit 2501 m über dem Meeresspiegel stehe ich auf dem höchsten schweizer

Straßenpaß. Yeah ! Das obligatorische Pässe-Foto schießt ein Düsseldorfer Tourist. Kurz vor dem Erreichen der Paßhöhe kommt mir der einzige Langstrecken-Radler entgegen. Es ist ein Japaner.

Eigentlich zweigt mein Weg hinab nach Bormio nach einigen Schwüngen unterhalb des Umbrail-Passes ab. An der Weggabelung entscheide ich mich spontan – trotz fortgeschrittener Tageszeit – dazu, noch weitere 350 m zum 3. höchsten aller Alpenpässe, dem Stilfser Joch/Passo dello Stelvio (2758 m) hinauf zu fahren. Ich bin jetzt 48 Jahre alt, habe den Pass bereits 27 Jahre zuvor gemeinsam mit Markus Wolfertz von der Nordseite über die berüchtigten 46 Kehren (damals aber bei 35-30 Grad und überwiegend schiebend) überwunden und möchte die erneute  Chance nicht vertun. Um 17.45 Uhr stehe ich oben. Architektonisch eine Vollkatastrophe. Eine Bausünde grenzt an die nächste, aber der grandiose Blick auf den Ortler (3905 m) entschädigt für alle Anstrengungen. Als Souvenir erstehe ich ein Stilfser Joch T-Shirt. Das muß sein. Um einen neuen Höhenrekord aufzustellen, raffe ich mich natürlich zur Weiterfahrt zum 27 m höher gelegenen Tibethaus auf (2785 m ü. NN). In den gesamten Alpen gibt es nur noch ganz wenige anfahrbare Punkte, die noch höher liegen. Man bedenke, dass ein deutscher Watzmann bereits geringfügig unter dem jetzt erreichten Level liegt. Ich genieße die Tief- u. Rundblicke mit allen Sinnen, vergesse dabei beinahe, dass eine 25 km lange gefährliche, einsame und später dunkle Abfahrt noch bevorsteht. Die abenteuerliche Abfahrt vom Pso. dello Stelvio beginnt um 19 Uhr bei 5,8 Grad Celius. Während der ersten Minuten fahre ich noch mit guter Sicht oberhalb der Wolkendecke und in der späten Dämmerphase. Was sich dann abspielt, kommt einem fahrerischen Horrorszenario gleich. Abrupt muss ich die Geschwindigkeit drosseln, mein Rad und ich tauchen in eine einzige nebelige und dunkle Suppe ein. Der Verlauf der Straße wird immer kurviger, hin- und wieder lauern auch ein paar Abgründe. Autos fahren nur noch wenige hinab. In diesem Falle denke ich mir „leider !“, denn auch sie müssen ihr Tempo den miserablen Bedingungen anpassen. Meine Kleidung wird durch die hohe Luftfeuchtigkeit komplett nass. Die Füßlinge leisten wieder einmal gute Dienste. Meine Hochleistungsregenjacke ist Pflichtprogramm.

Obwohl durch rüde Bedingungen vor einigen Wochen auf der Nordschleife des Nürburgringes bereits an nächtliche Wettereskapaden gewöhnt, ist das hier nochmals eine andere Hausnummer. Volle Konzentration ist absolut erforderlich, andernfalls würde jeder Fahrfehler den Übergang ins Jenseits beschleunigen. Zweimal verliere ich fast die Besinnung, und das Gefühl wo ich mich befinde. Das Gefühl ist mir fremd und habe es auf einem Fahrrad bisher noch nicht so erlebt. Bedingt durch die Waschküchen-Sicht und die umgebende Dunkelheit tritt phasen- weise ein leichter Schwindel auf, der offenbar daraus resultiert das der Gleichgewichtssinn in Kombination mit Augen und Hirn nicht mehr registriert, ob man noch Boden unter den Reifen hat oder schon im Schwebezustand ist. Aus Sicherheitsgründen bremse ich mehrmals komplett ab, bleibe für einen Moment stehen, um mich wieder einzunivellieren. Deshalb suche ich in 2 Fällen bewusst die Nebelschlussleuchte des vorausfahrenden Autos aus,  hinter dem ich nun klebe und so einigermaßen orientiert fahren kann.

Als nach einer gefühlten Ewigkeit endlich die ersten Lichter Bormios auftauchen, ist die Fixierung des Blickes auch wieder gewährleistet und ich registriere erst einmal, wie schnell ich doch hinunter gekachelt bin.

Mit Glück, erhalte ich in einer Eisdiele einen Tipp für meine Übernachtung. 5 min später beziehe ich eine große Ferienwohnung (leider ohne Frühstück), die zum Trocknen meines Equipments gerade recht ist…

Etappenfotos: Düsseldorf – Calvi/Korsika

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